Breites gesellschaftliches Plädoyer für die Grundrente

Veröffentlicht am 23.05.2019 in Soziales & Familie

Podiumsdiskussion zur Sozialpolitik

Mitten in die heiße Phase des Europawahlkampfs platzierten die SPD Buchloe und der SPD-Unterbezirk Ostallgäu-Kaufbeuren bewusst ein Thema, das zunächst nur deutschlandpolitisch aussah. Die schon lange geplante Podiumsdiskussion am Abend des 22.05. im Café Morizz stand nämlich unter dem Motto "Bürgergeld und Grundrente statt Hartz IV". Sie gewann zusätzliche aktuelle Brisanz, weil das Bundesarbeitsministerium am selben Tag seinen Gesetzentwurf zur Grundrente vorgelegt hatte.

Das Buchloer Podium war gesellschaftlich breit aufgestellt. Aus den Gewerkschaften nahm Rainer Bauch von der EVG Augsburg teil, die weltlichen Sozialverbände waren durch Sonja Blunk vom VdK Ostallgäu und Brigitte Protschka von der AWO Bayern vertreten, die kirchlichen durch Matthias Fack von der Kolpingsfamilie Buchloe. Gemeinsam formulierten sie Forderungen an die Politik, die durch die Bundestagsabgeordnete und schwäbische SPD-Vorsitzende Ulrike Bahr repräsentiert war. Die Moderation lag bei Martin Valdés-Stauber, dem SPD-Europakandidaten aus Kaufbeuren.

Nach Grußworten durch den SPD-Ortsvereinsvorsitzenden Bernd Gramlich und den Europakandidaten aus Füssen, Daniel Schreiner, widmete sich die Runde zunächst einer kurzen Bestandsaufnahme des aktuellen Sozialsystems, das zu bedeutenden Teilen noch auf die SPD-geführte Regierung Gerhard Schröders zurückgeht. Moniert wurden vor allem die sozialen Härten für Bezieher von Hartz IV und die viel zu niedrigen Renten für langjährige Geringverdiener.

Sonja Blunk berichtete aus der Rentenberatung, dass ergänzende staatliche Sozialleistungen heutzutage oft gegengerechnet würden, so dass die Rentnerinnen und Rentner daraus keinen Nutzen ziehen könnten. Matthias Fack bemängelte, dass das aktuelle Sozialsystem an vielen Stellen den Grundsatz der Personalität aus der katholischen Soziallehre, also die Würde des einzelnen Menschen, verletze.

Anschließend formulierte das Podium inhaltliche Anforderungen an die neue Grundrente. Brigitte Protschka sprach sich deutlich gegen eine Bedürftigkeitsprüfung aus, allein schon weil sie zu bürokratisch und teuer sei. Außerdem habe auch die vielzitierte geringbeschäftigte Unternehmergattin Anspruch auf eine würdige Rente unabhängig von der Altersvorsorge ihres Mannes, weil sie eine eigenständige Lebensleistung erbracht habe. Sonja Blunk gab zu bedenken, dass viele Rentenberechtigte sich aus Scham keiner Bedürftigkeitsprüfung unterziehen wollen.

Zur Frage, wie die Grundrente auch bei einer sich abschwächenden Konjunktur finanziert werden könne, erläuterte Ulrike Bahr die Vorschläge des aktuellen Gesetzentwurfs. Das Podium stimmte überein, dass steuerliche Mehreinnahmen von Seiten der Spitzenverdienenden zur Finanzierung der Grundrente für die sozial Schwachen der sozialpolitisch richtige Weg seien. Darum wurden die Finanztransaktionssteuer und die Aufhebung der Steuervorteile für Hotelübernachtungen als taugliche Instrumente gesehen. Aus dem Publikum kam zusätzlich der Vorschlag, das ökologisch fragwürdige Luxusgut Flugreise mit einer höheren Kerosinsteuer zu belegen.

Bei diesen vielen Steuerzuschüssen stellte sich die Frage, ob die Rente überhaupt noch der Generationsvertrag sei, der sie früher einmal war. Hier hob Rainer Bauch hervor, dass der Generationenvertrag auch heute noch funktionieren könne, wenn es einen höheren Mindestlohn und eine Tarifbindung für möglichst alle Arbeitsverträge gäbe. Zusätzlich müssten auch Selbstständige und Beamte ins Rentensystem integriert werden. Dann wäre das Rentenniveau auch nicht mehr auf beschämenden 48 Prozent des letzten Lohnes, sondern deutlich höher. Das Podium ergänzte, dass insbesondere auch die Bundesregierung, die Länder und die Kommunen aufhören müssten, ihre Aufträge immer nur an den billigsten Anbieter zu vergeben, weil dadurch tarifgebundene Betriebe benachteiligt würden.

Abschließend thematisierte die Runde die europäische Dimension der Sozialpolitik. Aktueller Stand ist, dass die Staaten West- und Nordeuropas mit ihren weitgehend funktionierenden Sozialsystemen die süd- und osteuropäischen Länder durch Abwerben der Spitzenkräfte massiv schädigen und in ihrem eigenständigen wirtschaftlichen Erfolg behindern. Dem könne man durch einen einheitlichen Mindestlohn in Höhe von 60 Prozent des Durchschnittslohns des jeweiligen Landes wirksam begegnen. Dass auf Ebene der Bevölkerung die innereuropäische Solidarität ohnehin schon weit größer sei als auf der oft noch national gefärbten Ebene der Politik berichteten mehrere Weitgereiste aus dem Publikum.

Als Schlussredner des Abends drückte der Buchloer zweite Bürgermeister Manfred Beck seine Begeisterung über die allgemeinverständliche und trotzdem tiefgehende und umfassende Diskussion aus. Insbesondere die hervorragende, kompetente und unterhaltsame Moderationsleistung von Martin Valdés-Stauber fand lang anhaltenden Beifall.